Der optimale Fahrradsattel

Ein kaputter Fahrradsattel mit Rissen: Das ist sicher NICHT der optimale Sattel
Ein Bild des Jammers, gesehen in Berlin-Kreuzberg – da hilft auch ein Sattelbezug nichts…

Oft ist es gar nicht die Beinmuskulatur, die einen bei langen Radtouren zum Aufhören zwingt, sondern die schmerzende Sitzfläche!

Gleich mal vorweg: DEN EINEN optimalen Radsattel, der praktisch für alle passt, gibt es nicht. Aber das so supersportlich aussehende schmale, kleine, harte Modell ist es eher NICHT. Denn solche Sättel, die man ja überwiegend auf guten Rennrädern und Mountainbikes findet, sind auf Geschwindigkeit und Kontrolle angelegt. Bei ausgedehnten Touren ist aber wichtiger, dass du lange gut sitzen kannst!
Welcher Sattel in dieser Hinsicht für dich passt, hängt von deiner Anatomie, deinem Gewicht, deinem Bike, deiner Sitzhaltung und deinen Gewohnheiten ab. Und statt jetzt zu versuchen, gewisse Richtlinien z.B. bezüglich der geschlechtsspezifischen Anatomie aufzustellen, meine ich: Man / frau muss es ausprobieren.
Was mich selbst betrifft, haben alle Tipps, die ich hierin von Profis und Möchtegern-Profis bekam, mir nichts gebracht außer Schmerzen und unnötige Geldausgaben für Sättel, die sich bei Langstrecken als ungünstig für mich erwiesen.
Der Hinweis, den ich beim Thema „Radtyp / Radqualität“ gegeben habe, nämlich dass Billigware NIE gut ist, gilt meines Erachtens beim Sattel nicht (ich meine uns Amateure, nicht den Profi-Bereich). Hier mag mir der Einzelne widersprechen, aber ich beschreibe einfach mal, wie sich das bei mir über die vielen Jahre gestaltete, seit ich weite Radtouren mache…

Der Seriensattel, der auf einem neuen Rad mitgeliefert wird, egal ob es hoch- oder niedrigpreisig ist, ist nur selten optimal (da er nicht auf deine individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist), oder wenn doch, ist das ein glücklicher Zufall. Ob er passt, kann man meist nicht nach 10 oder 20 km Probefahrt feststellen, sondern eben erst nach viel mehr Kilometern.
Bei all den Rädern, die ich in den letzten 20 Jahren gefahren bin, passte er jedenfalls nie für längere Touren: Immer zu unbequem.

Ganz zu Beginn, als ich noch ein Mountainbike mit einem recht kleinen, harten Sattel fuhr, experimentierte ich mit diesen gepolsterten Überzügen, die man in glatt oder mit Erhöhungen und Vertiefungen bekommt. Denn für mich als handwerklich unbegabte Person stellte das Ummontieren eines neuen Sattels auf meine Sattelstütze ein zu großes Hindernis dar. Daher testeste ich damals mehrere Varianten von Sattelbezug; meine Erfahrung ist, dass diese Dinger bei kleinen schmalen Sätteln sehr gern verrutschen; das nervt und bringt wenig Erleichterung. (Bei einem breiteren Fahrradsattel funktionieren sie manchmal ganz ordentlich, aber auch nur dann, wenn sie sehr exakt auf den Sattel passen.)
Als dann meine Routen immer länger wurden und das Sitzproblem immer drängender, kaufte ich einen partiell aufblasbaren Sattel („Luftsattel“), bei dem man mittels Luftpumpe mehr oder weniger reinblasen und somit die Oberfläche etwas unterschiedlich gestalten konnte. Aber so viel ich auch herumprobierte, das Teil wollte einfach nicht zu meinem Po kompatibel werden.
Dann sah ich bei Lidl in der alljährlichen „es ist Frühling, kauf dir was fürs Radeln“-Woche ein sehr preisgünstiges, sehr breites, sehr stark gepolstertes Ding. Ich wusste, es würde auf meinem schicken teuren Mtb schrecklich aussehen, aber scheiß drauf, ich erstand es und ließ es von meinem damaligen Freund draufmontieren. Mit diesem klobigen Billigsattel war ich fast 10 Jahre lang glücklich! Auch bei 120-km-Touren, nachdem ich ihn auf auf mein erstes Trekkingbike ummontiert hatte, tat mir nicht der Hintern weh. Als er nach all den Jahren durch war (Riesen Riss in der Oberfläche) und ich das selbe Modell nie wieder bei Lidl entdeckt hatte, versuchte ich es zuerst mit einem mittelpreisigen, schön weich gepolsterten Touren-Markensattel von einem großen Fahrradhändler. Der bescherte mir selbst auf der fünften Tour nach bereits 30 – 35 km unerträgliche Schmerzen; leider konnte ich ihn dann nicht mehr zurückbringen – man sah, dass er benutzt worden war.
Lidl bot zu der Zeit einen „ergonomischen“ Sattel eines anderen Markenherstellers an (so einen mit einer länglichen Mulde in der Mitte, die angeblich für Männer UND Frauen gut sein sollte). Kaufte ihn, testete ihn und verschenkte ihn bald darauf wieder.
Eine Bekannte, die im Semi-Profi-Bereich unterwegs war, lieh mir einen teuren High-Tech-Sattel, von dem sie schwor, dass er auch für mich „einfach perfekt“ sei. Naja, war er aber nicht, das harte Ding mit seinen eingebauten Wölbungen machte mich schon auf den ersten Kilometern fertig.
In meiner Verzweiflung ging ich in einen Laden für echte Radfreaks und ließ mich beraten. Man riet mir zu einem dieser sehr hochpreisigen Sättel, wo die Sitzhöcker ausgemessen werden. Okay, ich wagte es. So ein speziell angefertigter Sattel ist bestimmt für viele Käufer ganz toll, aber meinem 80- und 100-km-Touren-Test hielt er nicht stand. Ich konnte ihn zurückgeben, erhielt aber nicht das Geld zurück, sondern einen Gutschein. Na toll. Alle Sättel, die der nette Verkäufer mir zeigte, schienen mir für meinen kleinen, schlecht gepolsterten Popo zu hart; auch alle Modelle mit Erhöhungen / Vertiefungen funktionieren für mich einfach nicht!
Also ging ich wieder zum großen Fahrradhändler meiner Wahl, nahm meinen alten Oma-Sattel mit und verglich ihn sehr sorgfältig mit dem vorliegenden, sehr gut sortieren Warenangebot. Meiner war oben flach (also ohne Wölbungen), hinten sehr breit, vorne nicht so, weich gepolstert, aber nicht zu weich. Ich fand einen von einem Markenhersteller in mittlerer Preislage, der dem sehr nahe kam – und siehe da, er funktionierte auch für meine Touren über 100 km sehr gut!
Das soll jetzt natürlich keine Vorgabe sein, wie DEIN perfekter Sattel beschaffen sein soll – sondern nur veranschaulichen, dass du u.U. länger suchen, vergleichen, probefahren musst, bis du einen findest, der dich nicht nach einer bestimmten Strecke zum Aufhören zwingt.

Und noch ein Hinweis, falls du kein so erfahrener Langstrecken-Radler bist: Selbst DEIN optimaler Fahrradsattel kann, wenn du noch nicht „eingefahren“ bist, nach 30 oder 35 km deiner Tour für diesen Tag ein Ende bereiten. Je öfter du Touren radelst, desto besser gewöhnen dein Hintern und deine Sitzfläche sich daran, d.h. von Mal zu Mal kannst du mehr km aushalten. Das funktioniert aber nicht gut, wenn du nur einmal im Monat eine längere Strecke machst. Schau, ob du es deutlich öfter hinbekommst, dann wird dieser Körperbereich dir bald keine Probleme mehr bereiten.

© Beatrice Poschenrieder

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