Radtour 117: Prignitz-Wundertour: Bad Wilsnack, Burg Plattenburg, Demerthin, Kyritz, Neustadt (Dosse)

Burg Plattenburg, Foto von außen: Eingang / Tor hinten, Mauer und Turm
Die Plattenburg von hinten

Die Prignitz bietet einige „Wunder“, u.a. die Wunderblutkirche Bad Wilsnack, eine uralte Wasserburg, die Bassewitz-Sage und die Kalebuz-Gruft

Sehr gut bei Nordwest-Wind, ok bei Westwind, Gesamtlänge: 53 km

Strecke abkürzen:
Nur bis Bhf Kyritz: 41 km
Nur bis Bhf Wusterhausen (Dosse): 48,4 km
Ohne Runde in Bad Wilsnack: minus 1,8 km

Gleich beim Eintreffen in Bad Wilsnack gibt´s die erste Sehenswürdigkeit: Das aufwändig bemalte Bahnhofsgebäude; die Malereien beziehen sich auf die Themen „Jüngere Geschichte und Technik“, u.a. auf die Eisenbahn-Anbindung der Stadt ab 1846. Prägend für die Stadt war auch die Eröffnung eines Moorheilbades 1907 und eines Genesungsheimes 1929 – im selben Jahr erhielt die Stadt Wilsnack den offiziellen Zusatz „Bad“. Zu Zeiten der DDR war Bad Wilsnack eins der größten Moorbäder im Lande.

Bahnhofsgebäude von Bad Wilsnack, Foto vom Bahnsteig aus
Das Bahnhofsgebäude von Bad Wilsnack

Weswegen wir aber einen Abstecher ins Zentrum machen, ist eine Sache, die weit tiefer in der Vergangenheit liegt: Bad Wilsnack als Wallfahrtsort mit der sog. Wunderblutkirche.

Foto im Zentrum von Bad Wilsnack: Amt Bad Wilsnack-Weisen, Kirche St. Nikolai, Fachwerkhaus
Das Fachwerkhaus ist gar nicht klein, wirkt aber neben der riesigen Kirche so. Das gelbe Haus links enthält das Amt Bad Wilsnack-Weisen

Eigentlich hieß sie St. Nikolai, es etablierte sich aber der Name Wunderblutkirche. Es ist ein sehr beeindruckendes Gebäude von den Ausmaßen eines Doms; im Innern befindet sich u.a. immer noch der alte Wunderblut-Schrein.

Bad Wilsnack St.-Nikolai-Kirche (Wunderblutkirche), Foto vom Norden her
Was für ein gewaltiges Gotteshaus!
Bad Wilsnack Wunderblut-Kirche, Foto von innen: Altar, Emporen, Motivfenster, dreiteiliges Komposit-Retabel
Das Innere der Kirche bietet ein harmonisches Gesamtbild; der Hochaltar zeigt ein dreiteiliges Komposit-Retabel

Zur Geschichte: August 1383 wurden Wilsnack und 10 umliegende Dörfer von einem Ritter überfallen, nachdem er vergebens Anspruch auf diese erhoben hatte; er brannte alles nieder, auch die Kirche. Der damalige Pfarrer, Johannes Calbutz, vernahm im Traum eine Stimme, dass er in der Kirchenruine eine Messe abhalten solle. Dies erfolgte eine Woche nach dem Brand; was Calbutz und seine Gemeinde vorfanden, war die mit einem Tuch abgedeckte Altarplatte, auf der drei vom Brand unversehrte Hostien lagen, jede mit einem Blutstropfen in der Mitte. Der Pfarrer nahm die Hostien in Verwahrung. Kurz danach ereigneten sich in der Gegend weitere kleine Wunder: Kerzen erloschen plötzlich oder blieben trotz Wind am Brennen; die Blutflecken auf den Hostien vergrößerten sich, während der damalige Bischof in der Kirchenruine eine Messe las; ein Ritter, der darüber spottete, erblindete im Nu und konnte wieder sehen, nachdem er Buße getan hatte; ein Adliger blieb trotz Erhängung am Leben und flehte die Hostien um Hilfe an, woraufhin sein Henker ihn wieder vom Galgen nahm.
Ein paar Monate später erlaubte der Papst den Wiederaufbau der Kirche, die sich in Folge zum Wallfahrtsort entwickelte; das Städtchen erlebte eine Blüte. Dann, im Zuge der Reformation, der Bruch: 1552 kämpfte der evangelische Pfarrer von Wilsnack, Joachim Ellefeld, gegen die Hostienverehrung, zerstörte die Monstranz und verbrannte die Hostien. Da es nun keine Reliquien mehr zu verehren gab, ließ der Strom der Pilger deutlich nach und verebbte. Ab da ging es der Stadt fast 300 Jahre lang nicht gut – der 30jährige Krieg, mehrere große Brände und Überschwemmungen taten ihr Übriges. Ein Aufschwung stellte sich erst ab 1846 wieder ein, mit der eingangs erwähnten Anbindung an die Bahn.
Ein Schloss bzw. Herrenhaus gab´s übrigens auch mal, gleich neben der Kirche; ist noch nicht lang her, dass es abbrannte: 1976.

Übrigens hat Bad Wilsnack auch eine hübsche Altstadt:

Foto vom Osten her: Bad Wilsnack, Altstadt, Lindenstraße
Blick im Zentrum in die Lindenstraße

Danach radeln wir wieder nordwärts; bereits ab einem Sträßchen namens „Am Eierberg“ sind wir auf einem wundervollen Radwanderweg, der zum Elbe-Müritz-Rundweg gehört; unser Stück davon führt uns durch schöne Landschaft und Wald…

Foto vom Elbe-Müritz-Rundweg aus: Radweg von Bad Wilsnack nach Plattenburg
Am Eierberg!
Foto vom Elbe-Müritz-Rundweg aus: Radweg Am Park von Bad Wilsnack nach Plattenburg
Ein Stück weiter östlich

…zum nächsten Highlight, der Wasserburg Plattenburg. Eigentlich hieß nur die Burg so, einen richtigen Ort gibt es dort nicht, aber seit 2001 werden die umliegenden Dörfer unter der „Gemeinde Plattenburg“ zusammengefasst.

Foto von außen: Vordereingang bzw Torhaus der Wasserburg Plattenburg
Der Vordereingang bzw das Torhaus der Plattenburg
Foto vom Eingang der Plattenburg her in den Innenhof: Kapelle, rückwärtiges Tor
Blick vom Eingang in den Innenhof: Geradezu ist die Kapelle, links daneben der hintere Ausgang
Burg Plattenburg, Foto vom Innenhof her: Turm (Burgfried)
Blick vom Innenhof auf den Turm (Burgfried)

Die Plattenburg ist die älteste noch erhaltene Wasserburg in Norddeutschland – urkundlich wurde sie bereits 1319 erwähnt. Sie diente lange als Sommerresidenz der Havelberger Bischöfe. 1552 wurde dort der Pfarrer, der die Blutshostien verbrannt hatte, Joachim Ellefeld, gefangengehalten. Der damalige Domprobst befürwortete seine Hinrichtung, doch es geschah wieder ein kleines Wunder: Mehrere einflussreiche Männer und Universitäten setzten sich für Ellefeld ein; er wurde begnadigt.

Wie auch immer: Die Wasserburg ist ein sehr sehenswerter Ort und besteht aus mehreren Gebäudeteilen, die von etwa 10 kleinen und größeren Becken umgeben sind, die vermutlich mal einen zusammenhängenden breiten Wassergraben bildeten.

Foto vom Radweg aus: Haupthaus der Burg Plattenburg
Blick vom Radweg auf einen Teil der Burg; das Graubraune im Vordergrund ist kein Weg, sondern eines der Becken, die die Wasserburg umgeben
Foto vom Elbe-Müritz-Rundweg aus: Burg Plattenburg, Wassergraben oder Wasserbecken
Hier ein weiteres Becken; hinten links ist die Zufahrt zum Burgareal zu erkennen

Nach der Burg radeln wir gut 20 km auf Radwegen und ruhigen Landstraßen durch grüne Landschaft und kleine Dörfer:

Foto vom Elbe-Müritz-Rundweg aus: Radweg kurz nach Plattenburg
Unser Radweg kurz nach Plattenburg: Trotz Platten fein zu radeln
Foto vom Elbe-Müritz-Rundweg aus: Radweg von Plattenburg nach Groß Leppin
…und Richtung Groß Leppin auch!
Foto vom Radweg aus: Fachwerkhaus in Groß Leppin (Prignitz)
Diese schönen alten Häuser stehen in Groß Leppin
Radweg zwischen Groß Leppin und Klein Leppin, Foto vom Westen her
Unser Radweg zwischen Groß Leppin und Klein Leppin
Kirche Vehlin, Gemeinde Gumtow
Alt, solide und einfach schön: Die Dorfkirche von Vehlin
Radweg bei Schönhagen (Gemeinde Gumtow), Foto vom Südwesten her
Wilde Wiese bei Schönhagen

Das erste größere Dorf, Demerthin, enthält unsere vierte Sehenswürdigkeit, nämlich ein hübsches Schloss. Erbaut 1604, ist eine Besonderheit an diesem Renaissance-Gebäude, dass es seit damals praktisch unverändert geblieben ist (abgesehen von Sanierungs- und Renovierungsarbeiten); eine weitere ist das reich geschmückte Portal mit farblich gestalteten Plastiken.

Foto vom Norden her: Schloss Demerthin, Vorderseite
Schloss Demerthin

Schloss Demerthin, Eingang, Foto von außen

Zwischen Demerthin und Kyritz macht meine Route einen kleinen Umweg über Gantikow und Rüdow und folgt damit dem Pilgerweg Berlin-Bad Wilsnack; dieses Stück ist landschaftlich sehr hübsch, enthält aber 3 km Landwirtschaftsweg. Falls du gröberen Plattenweg hasst, dann bleib ab Demerthin auf der Hauptstraße (B5), sie führt geradewegs nach Kyritz und hat einen guten straßenbegleitenden Radweg.

Radweg bei Gantikow (Gemeinde Kyritz)
Der Pilgerweg bei Gantikow: Viel Landschaft und Stille
Foto vom Radweg aus: Dorfkirche Gantikow, Gemeinde Kyritz, Ostprignitz-Ruppin
Die Dorfkirche von Gantikow wurde um 1264 errichtet
Radweg zwischen Rüdow und Kyritz
Unser Radweg zwischen Rüdow und Kyritz

In der netten Stadt Kyritz radeln wir mittenmang durch und kommen auf dem Marktplatz an einer weiteren Wunder-Stätte vorbei, nämlich am sog. “Bassewitzbrunnen”; zu sehen sind drei Frauen mit Schüsseln in der Hand, aus dem Boden kommt ein Kopf. Der gehört zum Raubritter Kurt (auch Curt) von Bassewitz. Genau genommen heißt dieses Ensemble „Brunnen Bassewitzsage“, und diese Sage geht so:
Im Jahr 1381 belagerte der o.g. gewalttätige Mecklenburger Ritter mit seinem Gefolge die damals wohlhabende Stadt Kyritz, versuchte von außen über die Stadtmauern zu gelangen; doch die Bürger mobilisierten all ihren Mut und ihre Kraft und wehrten ihn erfolgreich ab. Diese Schmach ging dem Ritter noch lange nach, und so unternahm er 30 Jahre später, 1411, einen neuen Versuch. Diesmal plante er aber durch einen Tunnel in die Stadt zu gelangen, der in der Kirche enden sollte; dort wollte er relativ unbemerkt mit seinen Mannen aus der Erde kommen und dann Kyritz einnehmen. Jedoch ein im Kerker Gefangener hörte in der Stille seiner Haft das unterirdische Klopfen und Schaben und meldete dies. Die Ratsherren stellten dann durch Horchen fest, dass der Tunnel wohl zur Kirche gehen sollte, und führten den Raubritter in die Irre, indem sie Vieh in die Kirche treiben ließen. Daraufhin änderte dieser den Tunnelverlauf und durchstieß bald (unwissentlich) den Marktplatz. Kurt von Bassewitz war der erste, der aus dem Loch herausguckte; eine Frau, die direkt daneben stand und gerade Brei kochte, schüttete diesen dem Raubritter auf den Kopf, vermutlich mit Hilfe anderer Frauen. Dergestalt verbrüht, war er kurzzeitig wehrlos und wurde gefangen genommen – und bald darauf hingerichtet.
Mehr Fotos und Infos zu Kyritz in Radtour 11 und Radtour 11a!

Marktplatz von Kyritz; im Vordergrund der Bassewitz-Brunnen, hinten das Rathaus
Der Marktplatz von Kyritz; im Vordergrund der Bassewitz-Brunnen, das tolle alte Backsteingebäude hinten ist das Rathaus
Kyritz Marktplatz, Brunnen Bassewitzsage
Der Brunnen Bassewitzsage; links kommt der Kopf von Ritter Bassewitz aus dem Boden
Brunnen Bassewitz-Sage, Kopf von Ritter Kurt von Bassewitz
Hier der Missetäter von nahem: Seine Augen sind aufgerissen vor Schreck und Panik, hinter dem Kopf verbirgt er ein Kurzschwert

Auf dem Marktplatz und in den Seitenstraßen gibt´s natürlich nicht nur dieses Denkmal, sondern auch Lokale und Eisdielen!

Wir radeln südwärts aus der Stadt heraus und steuern das letzte Wunder an, nämlich die Gruft von Ritter Kalebuz (es gibt mehrere Schreibweisen, u.a. Kahlbutz). Diese befindet sich in der Wehrkirche von Kampehl, einem Vorort von Neustadt /Dosse.

Foto vom Radweg aus: Dorfkirche / Wehrkirche Kampehl, Neustadt Dosse
Im Anbau der Dorfkirche Kampehl ist die Gruft von Ritter Kahlbutz untergebracht

Die Geschichte dazu, kurz zusammengefasst: Christian Friedrich von Kalebuz starb 1702 im Alter von 51 Jahren und wurde in der Familiengruft beigesetzt. 92 Jahre später wurde die Kirche renoviert und man wollte die Särge aus der alten Gruft umsetzen in die neue. Dabei stellte man fest, dass im Gegensatz zu den anderen Leichen die von C.F. nicht verwest war – stattdessen war sie mumifiziert (normalerweise wird eine Mumifizierung künstlich herbeigeführt). Damals glaubte man an ein Wunder und erklärte es sich als Gottes Strafe für einen Mord, den Kalebuz vermutlich begangen hatte, und zwar am Verlobten seiner Dienstmagd, weil sie ihm das Ius Primae Noctis verweigert hatte; dieses „Recht der ersten Nacht“ erlaubte bestimmten Männern höheren Standes, anlässlich der Hochzeit die Braut eines Untergebenen zu entjungfern. Vor Gericht kam er frei, weil er einen Entlastungseid leistete und gesagt haben soll: „Wenn ich doch der Mörder bin gewesen, dann wolle Gott, soll mein Leichnam nie verwesen.“
Bis heute ist unklar, warum seine Leiche nicht verweste – bei Wikipedia sind interessante Erklärungsansätze zu lesen, wie auch weitere „Wunder“ und Geschichten im Zusammenhang mit dem Mord und der Mumie.
Jedenfalls kann man auch heute noch in die Gruft und die Mumie anschauen.

Gruft von Ritter Kahlbutz in Kampehl, Foto von außen, Anbau der Kirche und Eingang
Auf der Tür zur Gruft steht: „Halt! Besichtigt Ritter Kalebuz, das biologische Rätsel, über 300 Jahre alt, bis heute wissenschaftlich ungelöst“

Leider fand meine Radtour nicht zur (etwas eng gefassten) Öffnungszeit statt, sodass ich kein eigenes Foto liefern kann, sondern eins von Wikipedia zeige:

Mumie von Ritter Kahlbutz / Kalebuz in seinem Sarg in der Gruft der Kirche in Kampehl
Die Mumie von Ritter Kahlbutz; Foto von Anagoria, Wikipedia Commons CC BY 3.0

Falls du vor der Zug-Heimfahrt noch einkehren möchtest, bietet sich eventuell dieses schöne Lokal samt Biergarten an:

Ritterhof Kampehl (Neustadt), Foto vom Radweg aus
Kurz vor der Kirche kommt rechterhand der Ritterhof

Zur Endstation, dem Bahnhof Neustadt (Dosse), geht es einfach geradeaus auf der Straße weiter, nach 1,5 km sind wir schon da. Falls du eine Runde durchs Städtchen zu weiteren Sehenswürdigkeiten radeln willst, schau dir meine Radtour 29 an!

Grobe Streckenführung:
Bahnhof Bad Wilsnack – Zentrum – „Am Eierberg“ – Plattenburg – Groß Leppin – Klein Leppin – Vehlin – Schönhagen – Gumtow – Demerthin – Gantikow – Rüdow – Kyritz – Wusterhausen (Dosse) – Kampehl – Bahnhof Neustadt (Dosse)

Zur Karte:
Sie enthält
1) eine Schleife in Bad Wilsnack zum Zentrum und zur Wunderblutkirche;
2) eine kleine Besichtigung der Wasserburg Plattenburg;
3) einen Mini-Abstecher in Demerthin zur Kirche und zum Schloss.

Download file: Rt117_Bad_Wilsnack_Plattenburg_Kyritz_Neustadt.gpx

Hier die GPX-Datei; wichtig: Ich habe diese Radtour für meine Webseite entwickelt, nicht für Komoot o.ä. – bitte veröffentliche sie dort nicht!

© Beatrice Poschenrieder

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